LINDNER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kurzfassung: LINDNER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag-Ausgabe) de ...
[Freie Demokratische Partei (FDP) - 28.10.2013] LINDNER-Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Freiheit geht vor Freihandel
Roland Pofalla hat die NSA-Affäre zu früh für beendet erklärt. Die Ausspähung der Bundeskanzlerin bringt den Vorgang jetzt dahin zurück, wohin er immer gehört hat: ganz nach oben auf die politische Tagesordnung. Es ist unerheblich, ob es sich um das Merkel-Handy handelt oder um unsere private Kommunikation - in unseren bürgerlichen Freiheitsrechten sind wir gleich. Diese Rechte angesichts des Strukturwandels von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche zu verteidigen ist eine der wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre.
Privatsphäre ist ein Menschenrecht. Das Grundgesetz und die UN-Menschenrechtscharta garantieren sie. Doch nun wissen wir, dass unsere Daten und unsere Kommunikation nicht mehr privat sind. Das vornehmste Bürgerrecht läuft zunehmend leer. Je stärker unser Alltag von elektronischen Medien durchdrungen ist, desto mehr Daten können gesammelt werden und in die Hände von wem auch immer gelangen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wollte Eingriffe in die Privatsphäre kürzlich noch zur Staatsphilosophie erklären, als er ein "Supergrundrecht" auf Sicherheit forderte - ein Denken, das von einem unseren Grundfreiheiten verpflichteten Rechtsstaat wegführt, hin zu einem Polizeistaat.
Für unsere Freiheit ist diese Bedrohung genauso gefährlich wie der Terrorismus, zu dessen Bekämpfung die Überwachungsinfrastruktur aufgebaut wurde. Denn wer sich überwacht fühlt oder mit der Preisgabe seiner Privatsphäre rechnen muss, der wird seine Kommunikation und sein Verhalten sublim ändern. Freiheit und Privatheit bedingen einander. Die Sicherheitspolitiker müssen gerade angesichts neuer technischer Möglichkeiten lernen, dass kein Zweck jedes Mittel heiligt. Nebenbei ahnen wir, dass jenseits der Sicherheitspolitik längst auch wirtschaftliche Interessen verfolgt werden.
Gerade mit der Obama-Regierung wurden in Bürgerrechtsfragen viele Erwartungen verbunden. Doch sie hat massiv Vertrauen verspielt. Die Vereinigten Staaten waren von ihrem Selbstverständnis her immer weltweiter Vorreiter für Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Demokratie. Die Banken- und Finanzkrise hat dieses westliche Selbstverständnis erschüttert. Denn die Welt musste den Eindruck erlangen, dass die Marktwirtschaft nicht auf Wertschöpfung, sondern auf Schulden basiert. Nun ist der zweite Pfeiler ins Wanken geraten: die Glaubwürdigkeit als Hüter individueller Freiheitsrechte.
In sentimentale Appelle an unsere Freunde und Verbündeten setze ich daher keine großen Hoffnungen. Nehmen wir es auch als überzeugte Transatlantiker zur Kenntnis: Amerika verfolgt eine unsentimentale, strikt an ihren Interessen orientierte Außenpolitik. Unsere Reaktion sollte ebenfalls auf Sentimentalitäten verzichten. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass es - zumindest momentan - kein gemeinsames Verständnis von Grundrechten zwischen den Amerika und Europa gibt. Also müssen die Abkommen zum systematischen Austausch von Daten suspendiert werden, weil die Regierungen zum Schutz der Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind.
Das Europäische Parlament hat deshalb dieser Tage bereits zu Recht gefordert, die SWIFT-Vereinbarung zum Austausch von Bankdaten auszusetzen - übrigens gegen Stimmen von Abgeordneten der Union. Die Weitergabe und Speicherung von Fluggastdaten (PNR) war ohnehin umstritten. Auch die EU-Kommission kann nicht ohne weiteres an ihrer Entscheidung festhalten, dass Unternehmen personenbezogene Daten in die Vereinigten Staaten übermitteln dürfen, wenn sie sich den so genannten Safe-Harbour-Prinzipien verpflichten, nach denen ein mit Europa vergleichbares Niveau des Datenschutzes zugesichert wird. Wer kann daran nach den jüngsten Enthüllungen noch glauben?
Die Gespräche über ein transatlantisches Freihandelsabkommen haben ohne ein transatlantisches Datenschutzabkommen keinen Sinn. Die EU ist mit 507 Millionen Einwohnern (Amerika: 314) und einem Anteil von etwa 28 Prozent an der weltweiten Wirtschaftsleistung (Amerika ungefähr 26 Prozent) ein machtvoller "Global Player". Im Falle konzertierten Zusammenwirkens eröffnen sich ihm Einflussmöglichkeiten, die er bisher bei weitem nicht ausgeschöpft hat. Die Ausfuhren aus der EU nach China haben sich im Zeitraum 2000 bis 2009 nahezu verfünffacht. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht und fällt daher nicht allein mit der Frage einer Freihandelszone. Die Vereinigten Staaten haben an einer Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen ein mindestens so großes Interesse wie Europa, also müssen Handels- mit Bürgerrechtsfragen politisch verbunden werden. "Big Brother" und "Big Data" (Nachrichtendienste und das private Internet-Oligopol) arbeiten in der technischen Wirklichkeit ohnehin Hand in Hand. Europa kann mit Selbstbewusstsein sagen: Freiheit steht vor Freihandel.
In der kritischen Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten bis in den Kongress hinein gibt es Gesprächspartner, die unser Verständnis teilen und deren Position durch ein entschlossenes Auftreten der Europäer gestärkt würde. Zumal Amerikaner, Europäer und die Staaten des "Westens" mit einer vergleichbaren Grundrechtstradition ohnehin das gemeinsame Interesse haben, die Datensicherheit angesichts der von China und Russland ebenfalls betriebenen Überwachung zu stärken.
Allerdings muss sich Europa auf eine gemeinsame Linie erst noch verständigen. Die Zeit der Empörung über die Vereinigten Staaten ist vorbei, die Zeit der gemeinsamen Entscheidungen gekommen. Es gibt ein Momentum, die NSA-Affäre als Motor einer beschleunigten europäischen Einigung in der strategisch wichtigen Frage des Datenschutzes zu nutzen. Seit anderthalb Jahren wird über die geplante europäische Datenschutzgrundverordnung gestritten. Ihre Bedeutung ist im Lichte der jüngsten Ereignisse weiter gewachsen. Dennoch haben die Regierungschefs auf ihrem jüngsten Gipfel vergangene Woche den Zeitplan weiter auf "Ende 2014 oder Anfang 2015" gestreckt.
Das darf nicht das letzte Wort bleiben: Die künftige Bundesregierung muss auf europäischer Ebene weiter entschlossen die Positionen zu Grundrechten im Internet-Zeitalter vertreten, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Dazu ist sie verpflichtet. Das gleiche Tempo, mit denen Banken und Euro-Staaten durch Rettungsschirme geschützt werden, dürfen die Bürgerinnen und Bürger beim Schutz ihrer Daten erwarten. Es ist ohnehin unverständlich, dass wir Europäer nicht längst vor der Tätigkeit europäischer Nachrichtendienste im Sinne eines No-Spy-Abkommens geschützt werden.
Jetzt wäre zudem die Gelegenheit, die Debatte von Europa aus die globale Ebene zu heben. Liberale Mitglieder des Bundeskabinetts hatten im Sommer bereits eine europäische Initiative vorbereitet, den UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte um den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter zu ergänzen. So, wie europäische Staaten sich selbst Schuldenregeln unterwerfen mussten, so müssen sich demokratische Staaten beim Zugriff auf Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger selbst beschränken. Diesen Vorstoß sollte die künftige Bundesregierung aufnehmen.
Ob sie Bürgerrechten aber Priorität einräumt, ist offen. In den bisherigen Gesprächen zur Bildung einer neuen Regierung spielten bürgerliche Freiheiten jedenfalls keine Rolle. Von der Union war in dieser Hinsicht ohnehin wenig zu erwarten, aber auch die SPD hat sich in ihrem Zehn-Punkte-Papier für die Koalitionsverhandlungen in Sachen Datenschutz und Bürgerrechte nichts vorgenommen - eine Enttäuschung, denn Sigmar Gabriel hatte in einem Beitrag für diese Zeitung vor der Bundestagswahl immerhin Sensibilität gezeigt.
Vielleicht war das auch nur eine Laune, denn in der Vergangenheit hat es keinen Unterschied gemacht, ob der Sheriffstern eines Innenministers schwarz oder rot war: Die anlasslose Speicherung unserer aller Kommunikationsdaten auf Vorrat haben Konservative wie Sozialdemokraten gefordert. Mancher wird einwenden: Wer sich nichts vorzuwerfen hat, dessen Daten können verfügbar gehalten werden. Verhält es sich aber nicht genau andersherum? Gerade weil wir unbescholtene Bürgerinnen und Bürger sind, darf der Staat uns nicht pauschal unter Verdacht stellen. An der Haltung zur Vorratsdatenspeicherung wird man also ablesen können, ob eine große Koalition willens ist, unsere Bürgerrechte zu verteidigen: durch die Selbstbeschränkung des deutschen Staats einerseits und mit den Mitteln des Rechtsstaats gegen fremde Nachrichtendienste wie gegen Big Business im Internet andererseits. Daran sollten wir eine neue Regierung messen.

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Eine Geschichte als Herausforderung.Der Liberalismus begann seinen historischen Weg als Philosophie der Freiheit und als politische Bewegung für die Rechte des Einzelnen. Die Willkürherrschaft des Absolutismus stand im Widerspruch zur Idee einer freiheitlichen Gesellschaft. Mit dem Verfassungsstaat hat der Liberalismus den Absolutismus überwunden. Als erste politische Bewegung hat der Liberalismus dem einzelnen Bürger, seiner menschlichen Würde und seinen Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit Vorrang vor der Macht des Staates eingeräumt. Schritt für Schritt verwirklichten Liberale den modernen Verfassungsstaat mit individuellen Grundrechten, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Gewaltenteilung und der Rechtsbindung staatlicher Gewalt.Der Liberalismus hat als Freiheitsbewegung nicht nur für die Gleichheit vor dem Gesetz gekämpft, sondern auch für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit der Marktwirtschaft und ihrer sozialen Verpflichtung hat der Liberalismus neue Chancen gegen Existenznot und konservative Erstarrung der gesellschaftlichen Strukturen eröffnet.Die liberale Verfassung unserer Bundesrepublik Deutschland hat mehr demokratische Stabilität, mehr allgemeinen Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit hervorgebracht, als dies je zuvor in der Geschichte der Fall gewesen ist. Und dennoch ist die Idee der Freiheit den schleichenden Gefahren der Gewöhnung und Geringschätzung ausgesetzt. Weniger Teilhabe am demokratischen Staat, weniger Chancen für ein selbstbestimmtes Leben durch weniger Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz, Entmündigungen durch kollektive Zwangssysteme und bevormundende Bürokratie sind neue Bedrohungen der Freiheit.Liberale haben nach 1945 der Idee der Freiheit zum erneuten Durchbruch verholfen. Die FDP war stets der Motor für Reformen, wenn es um Richtungsentscheidungen zugunsten der Freiheit ging. Nur durch die FDP konnte in den fünfziger Jahren die Soziale Marktwirtschaft gegen die Sozialdemokraten und Teile der Christdemokraten durchgesetzt werden. Nur durch die FDP konnte sich in den siebziger Jahren mehr Bürgerfreiheit gegen konservative Rechts- und Gesellschaftspolitik durchsetzen. Die Liberalen waren Vorreiter für die Demokratisierung und Liberalisierung der Gesellschaft, gegen obrigkeits- staatliche Bevormundung und Engstirnigkeit. Unsere Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung in den achtziger Jahren brachte neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für mehr Bürger.Ein großer Teil des Widerstands gegen das sozialistische Staatswesen erwuchs aus der Attraktivität des freiheitlich-liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Das in den europäischen Integrationsprozeß eingebettete, vereinte Deutschland ist das freiheitlichste unserer Geschichte.
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