Südsudan: Zivilisten durch Armee getötet

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[Human Rights Watch Deutschland - 17.09.2013] Südsudan: Zivilisten durch Armee getötet

Verantwortliche Soldaten müssen zur Rechenschaft gezogen und ethnische Gewalt muss gestoppt werden
(Nairobi) - Südsudans Armee hat rechtswidrig Zivilisten getötet und beim Kampf gegen Aufständische weitere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, so Human Rights Watch. Durch das Vorgehen der Armee im Bundesstaat Jonglei wurden Zehntausende Menschen gezwungen, ihr Heim zu verlassen. Das macht sie noch anfälliger für ethnisch motivierte Gewalt. Der Südsudan soll alle Soldaten, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen. Zudem soll die militärische und zivile Gerichtsbarkeit gestärkt werden, um weitere Verstöße zu verhindern.
In dem 53-seitigen Bericht "They are Killing Us: Abuses Against Civilians in South Sudans Pibor County werden 24 Vorfälle rechtswidriger Tötungen dokumentiert. Opfer der Vorfälle zwischen Dezember 2012 und Juli 2013 waren nahezu 100 Mitglieder vom Volk der Murle. Die Vorfälle stellen einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht und internationale Menschenrechtsstandards dar. Während eines bewaffneten Konflikts Zivilisten zu ermorden oder vorsätzlich anzugreifen, dies ist ein Kriegsverbrechen.
In dem Bericht wird auch beschrieben, wie Soldaten der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) Häuser niederbrannten und plünderten, wie sie Zivilisten körperlich und verbal misshandelten und wie sie Schulen, Kirchen und Gebäude von Hilfsorganisationen zerstörten, die lebensrettende Arbeit leisten.
"Die Soldaten sollen im Bundesstaat Jonglei Zivilisten vom Volk der Murle vor den Kämpfen und dem ethnischen Konflikt schützen", sagt Daniel Bekele, Afrika-Direktor bei Human Rights Watch. "Stattdessen hat die Armee diese verletzlichen Menschen getötet und verängstigte Männer, Frauen und Kinder in große Gefahr gebracht."
Eine Reihe gesetzeswidriger Tötungen, darunter auch von Frauen, Kindern und Menschen mit geistigen Krankheiten, hat Schrecken unter den Murle verbreitet und die Wahrnehmung gestärkt, dass sie als Ethnie angegriffen werden. Die Vorfälle ereigneten sich während eines Konflikts zwischen der Armee des Südsudans und einer Rebellenorganisation der Murle. Soldaten und speziell ausgebildete "Hilfspolizisten" töteten im Bezirk Pibor im Bundesstaat Jonglei rechtswidrig über 70 Murle-Zivilisten und bis zu 24 Mitglieder der Sicherheitskräfte vom Volk der Murle. Dies sind ernste Verstöße gegen das Völkerrecht und Menschenrechtsstandards.
Der Südsudan soll alle Soldaten, die Verstöße begangen haben, zur Verantwortung ziehen und die militärische und zivile Gerichtsbarkeit stärken, um weiteren Verstößen vorzubeugen. Die Behörden sollen dringend die Rechenschaftspflicht für Verbrechen von Soldaten verbessern und die brutalen ethnischen Konflikte in Jonglei untersuchen, die auch während der Bekämpfung der Unruhen fortdauerten, so Human Rights Watch. Weiter sollen die Behörden sicherstellen, dass die Sicherheitskräfte alle Volksgruppen angemessen und unparteiisch vor Angriffen schützen.
Während Sicherheitskräfte in den Städten Gumuruk und Pibor Zivilisten angriffen, bot die Mission der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) auf ihrem Gelände zahlreichen Zivilisten Zuflucht. Dass UNMISS während der über viele Monate andauernden schweren Verstöße nicht eingriff, hat, wie Human Rights Watch festgestellt hat, das Vertrauen der Murle in die UN-Friedenstruppen untergraben.
Die Armee des Südsudans hat eingeräumt, dass ihre Soldaten für Menschenrechtsverletzungen im Bezirk Pibor verantwortlich waren, und hat Schritte zu einer besseren Strafverfolgung der Verantwortlichen ergriffen. Es soll jedoch mehr dafür getan werden, dass die Verstöße enden, Wiedergutmachung geleistet wird und dass die Armee die Murle schützt anstatt ihnen Schaden zuzufügen.
Human Rights Watch hat bei Untersuchungen in Juba und Jonglei im Juni und Juli festgestellt, dass Soldaten seit Dezember 2012 wiederholt Zivilisten angegriffen haben, häufig als Vergeltungsmaßnahme gegen Zivilisten aus dem Volk der Murle, die angeblich die Rebellen unterstützen. Bei einem Vorfall am 4. Dezember richteten Soldaten im Dorf Lotho 13 Zivilisten hin.
Nach einer Auseinandersetzung zwischen ehemaligen Murle-Rebellen und der Armee eröffneten Soldaten am 27. Januar 2013 in der Stadt Pibor das Feuer auf Zivilisten und brannten Häuser nieder. Bis zu sieben Zivilisten kamen ums Leben. Am 26. Mai griffen Soldaten in der Stadt Manyabol Zivilisten an und richteten zwölf Menschen hin, darunter drei Häuptlinge. Daraufhin floh die komplette Zivilbevölkerung Manyabols.
"Wir sind nicht diejenigen, die angreifen. Wir sind nicht diejenigen, die gegen die Regierung rebellieren. Aber wir sind diejenigen, die getötet werden", erklärte eine Vertriebene gegenüber Human Rights Watch. "Wir haben das Gefühl, als ob sie (= die Regierung) den Murle ein Ende bereiten will", sagte ein Mann.
Aus fast allen größeren Städten im Bezirk Pibor ist wegen der Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Armee und der Übergriffe der Soldaten die zivile Bevölkerung vollständig geflohen. Aus Furcht vor weiteren Übergriffen der Armee und weil sie dort Gefahr laufen, sich weiteren Angriffen auszusetzen, kehren Angehörige der Murle nur für dringend benötigte Lebensmittelhilfe in die Städte zurück. Am 31. Juli töteten Soldaten in der Stadt Pibor zwei Frauen, die Nahrung sammelten, und schikanierten weitere. Unterdessen haben sich Hilfsorganisationen bemüht, Zehntausende Vertriebene in abgelegenen ländlichen Gebieten zu erreichen.
Im August 2012 flammten die Kämpfe zwischen der Armee und Rebellen unter der Führung des Murle-Politikers David Yau Yau wieder auf. Yau Yau hatte 2010 zum Umsturz aufgerufen, nachdem er bei den Wahlen nicht ins Parlament gekommen war. Angehörige der Murle sagten Human Rights Watch, die Armee habe 2012 auf herabwürdigende Weise Zivilisten im Bezirk Pibor entwaffnet. Die Art und Weise habe den Aufstand angefacht, weil sich aufgebrachte Murle-Männer weigerten, ihre Waffen abzugeben, und sich Yau Yau anschlossen.
Yau Yaus Aufstand hat den Bundesstaat Jonglei weiter destabilisiert. Ein Kreislauf ethnisch motivierter Gewalt hat dort in den vergangenen drei Jahren Tausende Leben gefordert. Yau Yau, der nach allgemeiner Einschätzung vom Sudan mit Waffen beliefert wird, hat ein Amnestieangebot der Regierung abgelehnt.
Auch Yau Yaus Rebellen sind möglicherweise für schwere Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich. Human Rights Watch hat Berichte erhalten, denen zufolge die Aufständischen in der Nähe der Stadt Gumuruk mindestens fünf Zivilisten ermordeten und Hilfslieferungen plünderten. Nicht bestätigen konnte Human Rights Watch den Vorwurf, Yau Yaus Truppen seien auch für andere schwere Verbrechen verantwortlich, darunter weitere Morde, Entführungen und Angriffe auf Zivilisten in dicht besiedelten Gebieten. Die Anschuldigungen sind sehr ernst, ihnen sollte dringend nachgegangen werden.
Die Armee hat Verstöße ihrer Soldaten eingeräumt und mit mangelnder Ausbildung, fehlender Disziplin sowie schlechten Kommando- und Kontrollstrukturen begründet. Seit der Abspaltung des Südsudans vom Sudan im Jahr 2011 habe die Armee alle Hände voll damit zu tun, ehemalige Guerillaeinheiten neu zu organisieren und zu professionalisieren, hieß es. Am 20. August 2013 verkündete die Armee, sie habe Brigadegeneral James Otong verhaftet, der seit April die in Pibor stationierten Truppen kommandierte. Grund für die Festnahme sei, dass ihm unterstellte Truppen Zivilisten getötet haben und weitere Verstöße gegen die Menschenrechte begangen haben. Mindestens zwei weitere Soldaten wurden verhaftet und wegen der Tötung von Zivilisten vor ein Kriegsgericht gestellt.
"Diese Verhaftungen sind nur ein erster Schritt dahin, dass im Zusammenhang mit den schweren Verstöße für Gerechtigkeit gesorgt wird", sagte Bekele. "Die Behörden des Südsudans sollen nun auch anderen glaubwürdigen Berichten über Menschenrechtsverletzungen nachgehen. Außerdem sollen sie in der Region die militärische und zivile Gerichtsbarkeit stärken."
In Jonglei fehlt es an Militärrichtern und zivilem Justizpersonal, was seit Langem Hürden aufwirft für die Opfer schwerer Gesetzesverstöße. Die Armee soll gegenüber dem Parlament des Südsudans und den Medien über ihre Fortschritte bei der Beendigung der Verstöße und der Verbesserung der Rechtssituation berichten.
Die UN-Mission führt seit August ausführlichere Patrouillen durch. Sie soll in der bevorstehenden Trockenheit häufiger und umfassender kontrollieren und bereit sein, zum Schutz unmittelbar - auch durch Armeeangehörige - bedrohter Zivilisten Gewalt anzuwenden. Die Mission hätte die Verstöße der Soldaten viel früher öffentlich verurteilen müssen und soll dringend die Überwachung der Menschenrechte und die Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit verbessern, um zur Beendigung der Menschenrechtsverletzungen beizutragen, so Human Rights Watch.
Der Friedenstruppe fehle es für einen besseren Schutz an Hubschraubern und qualitativ hochwertiger militärischer Ausrüstung, erklärten Vertreter der UN-Mission gegenüber Human Rights Watch. Die Vereinten Nationen und die Länder, die Truppen für die Mission abgestellt haben, sollen dafür sorgen, dass die Mission für die Erledigung ihrer Aufgaben entsprechend ausgerüstet ist.
Die Menschenrechtsverletzungen durch Soldaten in Jonglei findet in einem Umfeld statt, das von Zyklen der Gewalt und Gesetzlosigkeit geprägt ist. In den vergangenen drei Jahren sind in Jonglei Tausende Menschen aus den Völkern der Dinka Bor, Lou Nuer und Murle ethnischen Konflikten zum Opfer gefallen. Wiederholt hat die Regierung nicht untersucht, wer für die Gewalt verantwortlich ist, und die Gemeinden nicht ausreichend vor Angriffen und Gegenangriffen geschützt.
Südsudans Behörden sollen auch den brutalen ethnischen Konflikt in Jonglei untersuchen, der während des Kampfs gegen die Aufständischen andauerte. Sie sollen gewährleisten, dass die Sicherheitskräfte angemessen und unparteiisch alle Volksgruppen vor Angriffen schützen, so Human Rights Watch.
Durch den Kampf gegen die Aufständischen und die regelmäßig stattfinden Menschenrechtsverletzungen sind Zivilisten noch anfälliger für den schwelenden ethnischen Konflikt geworden. Anfang 2013 griffen Tausende Lou Nuer Gebiete der Murle an. Zuvor hatten 2012 und im Februar 2013 Murle angeblich Lou Nuer angegriffen. Dabei wurden mindestens 85 Menschen getötet. Welche Folgen die Antwort der Lou Nuer genau hatte, ist noch unbekannt, aber Vertreter der Kommunalverwaltung sprechen von über 300 Toten auf Seiten der Murle.
Im Juli, während der Angriff der Lou Nuer noch lief, sagte ein Armeesprecher Human Rights Watch, dass die Truppen ihre Positionen in den Städten nicht zum Schutz der vertriebenen Murle verlassen würden. Sicherheitskräfte haben auch die Lou-Nuer-Gemeinden nicht ausreichend geschützt. Einige Beamte haben jedoch aktiv junge Lou Nuer ermutigt, zu den Waffen zu greifen. Und Human Rights Watch hat glaubwürdige Anschuldigungen gehört, denen zufolge die Armee Anfang Juli Lou-Nuer-Kämpfern Unterstützung zukommen ließ, auch in Form von Munition. Dies sind sehr ernste Anschuldigungen, die geprüft werden sollen, so Human Rights Watch.
Die Regierung soll herausfinden, wer für die Aufrufe zu ethnisch motivierter Gewalt verantwortlich ist, und diese Personen vor Gericht stellen. Die Behörden sollen zudem ethnisch motivierte Gewalt unabhängig und umfassend untersuchen lassen. 2012 stimmte die Regierung einer Untersuchung zu, hielt ihr Versprechen aber nicht ein. Bei den Ermittlungen soll es um den Vorwurf gehen, dass die Regierung ethnisch motivierte Kämpfer unterstützt hat, so Human Rights Watch. Außerdem soll geprüft werden, ob der Schutz der Gemeinden im Bundesstaat Jonglei ausreichend ist. Die Untersuchungen sollen unter Beteiligung ausländischer Experten stattfinden.
"Die Regierung muss ihrer Verantwortung nachkommen, die Zivilisten in ganz Südsudan zu schützen", sagte Bekele. "Sie soll Menschenrechtsverletzungen durch die eigenen Truppen einen Riegel vorschieben, den Schutz der Zivilisten vor Gewalt verbessern und die Verantwortlichen für tödliche ethnisch motivierte Angriffe zur Rechenschaft ziehen."

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