16.07.2013 09:55 Uhr in Kultur & Kunst von Universität Vechta

Rund um die deutsche Sprache: Vechtaer Sprachberatung gibt Antworten

Die Deutsch-Hotline der Arbeitsstelle für Sprachauskunft und Sprachberatung der Universität Vechta
Kurzfassung: (ddp direct) Das Telefon klingelt. Eine Dame aus Hannover möchte wissen, welche Steigerungsform korrekt ist: hochfliegender/hochfliegendst oder höherfliegend/höchstfliegend. Dass man bei zusammengesetzten Adjektiven nur einen der beiden Bestandteile steigert, weiß sie (also nicht höchstfliegendst, bestaussehendst, schlechtestmöglichst usw.); aber welchen?

Die Anruferin erfährt: Es kommt auf den Sinnzusammenhang an: Ist beispielsweise von hochfliegenden Plänen die Rede, dann ist die ...
[Universität Vechta - 16.07.2013] (ddp direct) Das Telefon klingelt. Eine Dame aus Hannover möchte wissen, welche Steigerungsform korrekt ist: hochfliegender/hochfliegendst oder höherfliegend/höchstfliegend. Dass man bei zusammengesetzten Adjektiven nur einen der beiden Bestandteile steigert, weiß sie (also nicht höchstfliegendst, bestaussehendst, schlechtestmöglichst usw.); aber welchen?

Die Anruferin erfährt: Es kommt auf den Sinnzusammenhang an: Ist beispielsweise von hochfliegenden Plänen die Rede, dann ist die richtige Steigerung hochfliegendere/hochfliegendste; hochfliegend heißt dann so viel wie ›ehrgeizig‹. Geht es hingegen um die wörtliche Bedeutung – wie bei hochfliegende Flugzeuge – dann schreibt man erstens ohnehin am besten getrennt (hoch fliegend: man muss es allerdings nicht), und zweitens ist die korrekte Steigerung höher fliegend (oder höherfliegend) /am höchsten fliegend (oder höchstfliegend).

Die Arbeitsstelle für Sprachauskunft und Sprachberatung der Universität Vechta (ASSV) wurde von Prof. Dr. Jochen A. Bär gegründet, der im April 2012 die Professur für Germanistische Sprachwissenschaft übernahm. Bär hat nach seiner Promotion drei Jahre lang bei der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden gearbeitet und unter anderem den dortigen Sprachberatungsdienst geleitet. Die Idee, eine Anlaufstelle für alle einzurichten, die Fragen zur deutschen Sprache haben, brachte er nach Vechta mit; die erste Anfrage („Heißen die Einwohner von Vechta Vechtaer oder Vechtaraner?“) beantwortete er bereits am ersten Tag nach seinem Dienstantritt. Seit Februar 2013 gibt es – durchaus nicht nur für Vechtaer – ein regelmäßig an vier Tagen pro Woche besetztes Bürgertelefon; Anfragen sind auch per E-Mail oder über Facebook möglich.

„Die Wissenschaft hat der Gesellschaft gegenüber eine Bringschuld“, ist Bär überzeugt: „Immerhin werden wir zu 100 Prozent aus Steuergeldern finanziert. Auch die Geisteswissenschaften, deren Praxisbezug naturgemäß nicht so unmittelbar auf der Hand liegt wie beispielsweise bei der Gerontologie oder der Sozialen Arbeit, sollten daher hier und da einmal etwas anbieten, dessen Relevanz den Menschen unmittelbar einleuchtet.“

Die ASSV ist die erste universitäre Sprachauskunftsstelle in Niedersachsen. Gefragt wurde sie bislang zu 41 % nach Grammatik, 43 % der Auskünfte betrafen Fragen des Wortschatzes (inklusive Eigennamen und Redewendungen), 16 % Orthographie (inklusive Interpunktion) und Aussprache. In 58 % aller Fälle ging es um Richtig oder Falsch bzw. es wurden Empfehlungen zum Sprachgebrauch erbeten; 42 % der Anfragen zielten auf reine Information, beispielsweise zur Herkunft von Wörtern oder zur Sprachstatistik. Für Professor Bär eine erfreuliche Tatsache: „Selbstverständlich geben wir Empfehlungen ab, wenn wir danach gefragt werden. Aber vor allem liegt uns am Herzen, möglichst viel Wissen über die deutsche Sprache zu vermitteln. Wir wollen keine Vorschriften machen, wie die Sprache zu gebrauchen sei, sondern wir wollen das Interesse für sie fördern und die Leute zum Nachdenken über sie bringen. Wir wollen ihre Vielfalt und ihre Möglichkeiten aufzeigen. Das ist die beste Voraussetzung für einen reflektierten und damit auch einen guten Sprachgebrauch.“

Die Vechtaer Sprachauskunft ist keineswegs nur eine Dienstleistung für Bürgerinnen und Bürger. Auch die Wissenschaft profitiert davon. „Wir gewinnen Aufschluss darüber“, so Bär, „was die Öffentlichkeit besonders an der Sprache interessiert.“ Darüber gibt es bislang noch zu wenig verlässliche Daten; aber es liegt auf der Hand, welche Konsequenzen (beispielsweise bei künftigen Schwerpunktsetzungen der universitären Lehre in der germanistischen Linguistik) man aus ihnen ableiten könnte. Mittelfristig plant Bär daher eine Ausweitung des Vechtaer Angebotes und verbindet damit die Hoffnung auf ein eigenes Forschungsprojekt, das sich der Frage widmet: Was wollen die Menschen in Deutschland über ihre Sprache wissen?

Längst ist klar: Manchmal wollen sie gar nichts wissen, sondern selbst etwas mitteilen. Man solle endlich etwas tun gegen den Verfall der Sprache, gegen die vielen Anglizismen, gegen Sprachschludereien aller Art. Es sei doch beispielsweise falsch, bei einem Golfschläger aus Metall von einem Holz zu sprechen. „Auch solche Anrufe nehmen wir ernst“, sagt Bär. „Wir freuen uns über jede Auseinandersetzung mit sprachlichen Fragen. Wir versuchen aber deutlich zu machen, dass Sprache nicht logisch ist, sondern dass es immer historische Gründe für ein bestimmtes Phänomen gibt. Golfschläger waren eben früher aus Holz, und die Golfersprache hat das Wort Holz als Fachausdruck bewahrt, auch wenn die Realität sich verändert hat.“ Nicht immer wandelt sich freilich die Sache und das Wort bleibt erhalten. Es gibt auch viele neue Wörter, oft solche aus dem amerikanischen Englisch (oder solche, die so klingen, die es aber in Wirklichkeit nur in Deutschland gibt, z. B. Handy für das Mobiltelefon). „Sprachwandel ist aber kein Problem für die Sprache“, erklärt Bär. „Er hält sie vielmehr sogar am Leben. Eine Sprache, die sich nicht andauernd verändert, ist binnen kurzem veraltet und funktioniert nicht mehr. Das wollen wir den Menschen, die sich an uns wenden, vor allem vermitteln.“

So beispielsweise einem Anrufer aus Wilhelmshaven, der sich über grammatische (Un-)Kenntnisse von Zeitgenossen beschwerte, konkret: über die Genitivform des Herzes, die ihm in einer Hörfunksendung begegnet war. Das Substantiv Herz, so die Auskunft, war ursprünglich ein schwach flektiertes Substantiv und hatte noch im Mittelhochdeutschen die Genitivform des Herzen; erst seit dem 16. Jahrhundert (unter anderem bei Martin Luther) findet sich die unregelmäßige Form des Herzens. Heute hingegen hört und liest man tatsächlich immer wieder einmal des Herzes – ein Fehler nicht anders als damals Luther einen beging, wenn er des Herzens schrieb. Sprachfehler, die von einflussreichen und/oder von vielen Sprecherinnen und Sprechern gemacht werden, sind möglicherweise die Sprachregeln von morgen.



Sprachauskunft Vechta

Die kostenlose telefonische Sprachberatung ist unter (04441) 15-151 montags und mittwochs von 14 bis 16 Uhr und dienstags und donnerstags von 10 bis 12 Uhr erreichbar.

Internet: www.sprachauskunft-vechta.de
E-Mail: sprachauskunft@uni-vechta.de
Facebook: https://www.facebook.com/SprachauskunftVechta

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