'Eine Seite muss nachgeben'

Kurzfassung: "Eine Seite muss nachgeben"Hagen Lesch im DeutschlandfunkGewerkschaften, die sich selbst zerlegen, sind kein Gewinn für den Arbeitgeber. Das sagte IW-Tarifexperte Hagen Lesch im Interview mit dem Deu ...
[Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. IW Köln - 04.11.2014] "Eine Seite muss nachgeben"

Hagen Lesch im Deutschlandfunk
Gewerkschaften, die sich selbst zerlegen, sind kein Gewinn für den Arbeitgeber. Das sagte IW-Tarifexperte Hagen Lesch im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Situation bei der Bahn sei verfahren. Lesch: "Um den Konflikt beizulegen, bleibt wahrscheinlich nur noch der Weg zum Schlichter."
Die Gewerkschaften zerlegen sich jetzt selbst. Für die Arbeitgeber könnte die Situation nicht besser sein, oder?
Nein, weil Gewerkschaften, die sich selbst zerlegen, sind kein Gewinn für die Arbeitgeberseite. Das sieht man ja daran, dass die Gewerkschaften ihren Streik mittels Arbeitskampf ausführen und ausüben, und das trifft natürlich den Verhandlungsgegner Bahn ebenso wie Dritte, unbeteiligte Kunden.
Was kann die Bahn denn jetzt tun, um zu deeskalieren?
Beide Seiten könnten sich zunächst mal darauf verständigen, einen Schlichter einzuschalten, der dann neutral ist und moderiert zwischen den beiden Parteien. Das Problem bei diesem Konflikt ist natürlich, dass es sich um einen Statuskonflikt handelt, bei dem es um ein Entweder/Oder geht. Das ist kein Tarifkonflikt, bei dem man sich irgendwo in der Mitte einigen kann, sondern eine Seite muss irgendwo nachgeben, und das macht das Ganze sehr schwierig. Das wird es natürlich auch für einen Schlichter sehr, sehr schwierig machen. Insofern ist hier tatsächlich noch viel zu tun und ein langer Weg zurückzulegen.
Jetzt weist der GdL-Chef Claus Weselsky darauf hin, dass die Streiks rechtmäßig sind, wobei juristisch ja eigentlich Verhältnismäßigkeit gegeben sein muss. War das denn der Fall?
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird von der Arbeitsgerichtsbarkeit durchgeführt und prüft jeden einzelnen Konflikt, und zunächst müsste ja erst mal überhaupt geklagt werden. Es muss erst jetzt überhaupt mal gestreikt werden und dann müsste der Streik eine bestimmte Länge haben, er müsste so weh tun, dass er möglicherweise zur Vernichtung des Gegners führt. Dann würde das Arbeitsgericht sagen, nein, das ist nicht zulässig, weil das darf nicht Ziel des Streiks sein, sondern das Ziel des Streiks muss sein, den Abschluss eines Tarifvertrages zu erstreiten.
Das Zweite ist, was man berücksichtigen muss bei der Verhältnismäßigkeit, inwieweit gibt es Drittschäden. Wenn die GdL länger als drei Tage streikt, müssen wir mit Produktionsunterbrechung in der Industrie rechnen. Dann werden nicht nur im Personenverkehr Personen getroffen, sondern dann geht es um massive finanzielle Einbußen, und auch das muss dann die Arbeitsgerichtsbarkeit im Auge behalten. Die GdL hat allerdings die Möglichkeit, den Streik in einem akzeptablen Rahmen festzulegen. Er soll wehtun, aber er darf nicht zur massiven wirtschaftlichen Schädigung des Gegners führen.
Bei der Verhältnismäßigkeit, so habe ich Sie jetzt verstanden, da geht es um den Gegner, da geht es ums Geld, wenn es finanzielle Einbußen gibt. Aber geht es überhaupt nicht um die Interessen von Millionen Bahnreisenden, wie jetzt speziell in diesem Tarifkonflikt es ja der Fall ist?
Aus meiner Sicht geht es in der Rechtsprechung, in der Prüfung der Verhältnismäßigkeit leider zu wenig darum. Ich hatte aber gerade auch schon angedeutet zumindest mal die drittbetroffene Industrie, die Wirtschaft. Die müsste berücksichtigt werden. Natürlich müssen auch die Bahnkunden berücksichtigt werden, die natürlich immer wieder ein Ärgernis haben und nicht vernünftig planen können, mit welchen Verkehrsmitteln sie nun wohin kommen. Das trifft ja schon den Nerv unserer Gesellschaft, da haben Sie völlig recht. Aber das ist gerade das Problem, dass das in der Rechtsprechung zu wenig aus meiner Sicht berücksichtigt wird. Aber dafür werden wir ja hoffentlich bald eine Regelung haben. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, hier einen klaren Rechtsrahmen vorzugeben.
Da sprechen Sie jetzt an auf die Pläne von Arbeitsministerin Nahles, die Macht der kleineren Gewerkschaften ein bisschen zu begrenzen. Fallen dann solche Streiks künftig aus?
Nein, solche Streiks fallen nicht aus. Es ist aber wichtig, zumindest mal den Streit der Gewerkschaften in richtige Bahnen zu lenken, dass es nicht so eskaliert, wie das jetzt der Fall ist, und das will das neue Gesetz. Es ist aber über die Einführung eines Mehrheitsprinzips so: Wenn zum Beispiel im jetzigen Konflikt sich die EVG sich mit der Bahn einigen würde, würde sie einen Mehrheitstarifvertrag schließen, und dem müsste sich dann auch die GdL unterwerfen, grob ausgedrückt. Darüber hinaus brauchen wir noch weitere Regelungen, weil zum Beispiel bei der Lufthansa der Streik, den würde man mit dem neuen Gesetz überhaupt nicht kanalisieren können. Wir brauchen auch Regelungen im Arbeitskampfrecht, die gerade in der Daseinsvorsorge Schlichtungsvereinbarungen vorsehen, längere Ankündigungsfristen, damit man sich bei Streiks darauf einstellen kann, und auch Notdienstvereinbarungen, also eine Minimalversorgung, muss einfach in der Infrastruktur aufrecht erhalten werden. Das ist etwas, da traut sich der Gesetzgeber leider nach wie vor nicht ran.
Aber gerade den Arbeitgebern wird es die Arbeitsministerin ja künftig viel leichter machen. Die kleinen Gewerkschaften, die gut qualifiziertes Personal haben, die in aller Regel auch ganz gut bezahltes Personal haben, die würden entmachtet. Warum sind die Arbeitgeber neuerdings nicht mehr dafür, dass sich Leistung lohnen soll?
Die Lohndifferenzen, die Sie ansprechen, kleine Gewerkschaften setzen dann für ihre Gruppe besonders viel durch, die richten sich ja nicht nach der Leistungsfähigkeit, sondern nach der faktischen Streikmacht. Wer sagt denn, dass der Lokführer wesentlich mehr Leistung bringt als andere Angestellte innerhalb des Bahnkonzerns, die am Schalter sitzen und Fahrkarten verkaufen, die nicht diese Streikmacht haben? Das Problem ist doch, dass wir, wenn wir nicht eingreifen, irgendwann eine Situation haben können, in der alle Berufsgruppen, die streikmächtig sind, ihre einzelne Gewerkschaft bilden, das Unternehmen lahmlegen, sich den größten Teil des Kuchens holen und der Rest bleibt auf der Straße in machtlosen Konzessionsgewerkschaften sitzen. Das kann ja wohl nicht Modell der Zukunft sein. Das ist nicht gerecht aus meiner Sicht, weil es geht darum, tatsächlich nach Leistung zu bezahlen, und Leistung ist nicht gleichzusetzen mit Streikmacht.
Das Interview zum Anhören auf deutschlandfunk.de

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