Elektromobilität als Medien-Hype

  • Pressemitteilung der Firma BINE Informationsdienst, 17.01.2012
Pressemitteilung vom: 17.01.2012 von der Firma BINE Informationsdienst aus Bonn

Kurzfassung: Berliner Verkehrsforscher im BINE-Interview Seit 2007 gewinnt das Thema Elektromobilität zunehmend an Aufmerksamkeit. Es herrscht ein regelrechter Hype um das Thema – nachvollziehbar in allen Zeitungen. Das gab es vor über 15 Jahren schon ...

[BINE Informationsdienst - 17.01.2012] Berliner Verkehrsforscher im BINE-Interview

Elektromobilität als Medien-Hype


Seit 2007 gewinnt das Thema Elektromobilität zunehmend an Aufmerksamkeit. Es herrscht ein regelrechter Hype um das Thema – nachvollziehbar in allen Zeitungen. Das gab es vor über 15 Jahren schon einmal. Die Insel Rügen erlebte mit 60 Elektrofahrzeugen den bis dahin weltweit größten Feldversuch. Dennoch endete der Diskurs ebenso plötzlich wie er entstanden war. Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin untersuchen, ob sich das wiederholen kann.
Dr. Oliver Schwedes ist Fachmann für Integrierte Verkehrsplanung und fordert im BINE-Interview das Elektroauto in eine Gesamtstrategie nachhaltiger Verkehrsentwicklung einzubinden.

Was hilft Ihre mediale Diskursanalyse bei der Beurteilung der Elektromobilität?

"Ein medialer Hype, wie der um die Elektromobilität, ist oftmals durch einseitige Aussagen geprägt, die keine differenzierte Einschätzung ermöglichen. Eine Diskursanalyse trägt dazu bei, Transparenz zu schaffen. Sie zeigt auf, wer das Thema Elektromobilität mit welchen spezifischen Interessen verfolgt. Dabei wird deutlich, dass sich hinter dem vermeintlichen Konsens divergierende Interessenslagen verbergen. Auf diese Weise ist eine realistischere Einschätzung des E-Mobility-Hype möglich, insbesondere bezüglich seines Beitrags zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung."

Welche Ereignisse und Rahmenbedingungen haben in jüngster Zeit einen medialen Hype hervorgerufen, und wie unterscheidet sich dieser von dem vorangegangenen in den 1990er-Jahren?

"Sowohl in den 1990er Jahren wie auch 2008, war es das Zusammentreffen der Hochphase einer Umweltdebatte und einer Wirtschaftskrise, die sich insbesondere auf die Automobilindustrie auswirkte. Die Politik hat sich in beiden Fällen für umfangreiche finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der deutschen Automobilindustrie entschieden, insbesondere im Bereich der Entwicklung von Elektroautos. Gleichzeitig konnte sie damit Handlungsfähigkeit im Umweltbereich demonstrieren, woran auch die Automobilindustrie jeweils ein Interesse hatte, um das eigene Image zu verbessern.
Während in den 1990er Jahren die Politik das Thema Elektromobilität fallen ließ mit der Begründung, die Elektroautos würden mit dem damaligen Strom-Mix keinen positiven Beitrag zur Umweltbilanz beitragen, stellt sich diesbezüglich die Situation heute anders dar. Aufgrund der massiven Förderung erneuerbarer Energien in den letzten Jahren, hat sich eine neue Perspektive eröffnet, die eine zukünftige Nutzung von Elektroautos auf der Grundlage erneuerbarer Energien realistisch erscheinen lässt."

Welchen Beitrag leistet der mediale Diskurs für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung?
Und ist ein Hype nicht eher schädlich?

"Ein medialer Hype birgt immer die Gefahr, dass falsche Erwartungen geweckt werden. Der mediale Diskurs um die Elektromobilität erweckt die Hoffnung, das Elektroauto könne die meisten der aktuellen Verkehrsprobleme lösen. Eine genauere Betrachtung macht hingegen deutlich, dass das Elektroauto kurz- und mittelfristig eher einen bescheidenen Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung beitragen wird. Die Diskursanalyse trägt diesbezüglich zu einer Versachlichung bei und macht deutlich, dass das Elektroauto als Baustein in einer integrierten Gesamtstrategie nachhaltiger Verkehrsentwicklung betrachtet werden muss.
Demgegenüber neigt der mediale Hype dazu, alternative Beiträge zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung unberücksichtigt zu lassen, die schneller und in vielen Fällen kostengünstiger umzusetzen sind als das Elektroauto. So könnte etwa eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf deutschen Autobahnen die CO2-Emissionen um einen Betrag mindern, der auch mit den von der Bundesregierung avisierten 1 Millionen Elektroautos in 2020 erreicht wird."

Wo sehen Sie weiteren Forschungsbedarf?

"Im Moment besteht der strategische Fehler darin, einseitig auf die technologische Innovation 'Elektroauto' und die damit verbundenen Effizienzgewinne zu setzen. Die Technikfixierung muss um neue innovative Verkehrskonzepte erweitert werden, die in der Regel ein anderes individuelles Verkehrsverhalten nötig machen. Wenn allein der Verbrennungsmotor durch den Elektromotor ersetzt wird, werden wir nicht die von der Bundesregierung im Verkehrssektor angestrebten Nachhaltigkeitseffekte erzielen. Bisher wurden die erreichten Effizienzgewinne im Verkehrssektor immer wieder durch das absolute Verkehrswachstum aufgezehrt bzw. überkompensiert, so dass der Verkehrssektor heute der einzige Sektor ist, in dem die CO2-Emissionen weiter steigen. Um eine Verringerung des absoluten Verkehrsaufkommens zu erreichen, müssen neue, verschiedene Verkehrsträger übergreifende Nutzungskonzepte entwickelt werden, die z. B. eine kollektive Nutzung des Elektroautos ermöglichen."

Was empfehlen Sie dem Bundeswirtschaftsminister bei der Einführung der Elektromobilität in Deutschland?

"Das Bundeswirtschaftsministerium sieht seine Aufgabe darin, die Wirtschaft zu fördern. Das tut es, in dem es auf die Marktgängigkeit des Elektroautos hinwirkt. Die anderen drei Ministerien (Umwelt, Forschung und Verkehr) setzen in ihren Projekten jeweils eigene Akzente, die nicht immer kompatibel sind. Auf diese Weise laufen verschieden Forschungsansätze weitgehend unverbunden nebeneinander her. So sieht das Wirtschaftsministerium sein Ziel erreicht, wenn die deutsche Automobilindustrie das erste serienmäßige Elektroauto auf den Markt bringt, ohne zu berücksichtigen, ob es sich dabei um den Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung handelt; dieser Aufgabe hat sich das Umweltministerium verschrieben. Demgegenüber wäre ein integrierter Ansatz anzustreben, der die verschiedenen Dimensionen der Elektromobilität zusammenführt und gegeneinander abwägt. Am Ende wäre es die Aufgabe der Politik einen Entwicklungspfad zu definieren, der von allen Beteiligten mit vereinten Kräften beschritten werden sollte. Diese Verantwortung hat die Politik in diesem Thema bis heute nicht übernommen, sondern an die Wirtschaft abgegeben."

Die deutsche Autoindustrie trägt eher wenig zum aktuellen Hype bei. Teilen Sie diese Einschätzung?

"Die Automobilindustrie hat weder in den 1990er Jahren noch 2008 als treibende Kraft bei der Etablierung der Elektromobilität gewirkt. Vielmehr hat sie bisher immer soweit mitgemacht wie es einem positiven Umweltimage zuträglich war. Anders als beim Verbrennungsmotor, bei dem sich die deutsche Automobilindustrie umfangreiche Spezialkenntnisse erworben hat, mit denen sie sich auf dem Weltmarkt profiliert, ist der Elektromotor eine seit über 100 Jahren bewährte und relativ einfach zu handhabende Technologie. Sollte sich diese Technologie durchsetzen, würde die deutsche Automobilindustrie in ihren Grundfesten erschüttert. Gleichzeitig sehen die Logistik- und die Automobilbranche die Gefahr, zukünftig nicht mehr mit Verbrennungsmotor in die Innenstädte fahren zu dürfen. Das wiederum ist ein überzeugendes Argument, sich an der Entwicklung von Elektroantrieben zu beteiligen, auch wenn man gerade in Innenstädten am ehesten auf ein Auto verzichten könnte, für die konventionelle Automobilindustrie würde damit weltweit ein riesiger Markt verloren gehen. Auch hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass das Elektroauto heute vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird und weniger als Beitrag zu einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsentwicklung."


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