Zur Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle betreffend ein Gesetz, das Recht der Europäischen Union umsetzt

  • Pressemitteilung der Firma Bundesverfassungsgericht, 26.10.2011
Pressemitteilung vom: 26.10.2011 von der Firma Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe

Kurzfassung: Das Investitionszulagengesetz (InvZulG) regelt die Zahlung einer staatlichen Subvention (Investitionszulage) für bestimmte betriebliche Investitionen in Berlin und den neuen Bundesländern. Im Mai 1998 entschied die Europäische Kommission, dass ...

[Bundesverfassungsgericht - 26.10.2011] Zur Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle betreffend ein Gesetz, das Recht der Europäischen Union umsetzt


Das Investitionszulagengesetz (InvZulG) regelt die Zahlung einer staatlichen Subvention (Investitionszulage) für bestimmte betriebliche Investitionen in Berlin und den neuen Bundesländern. Im Mai 1998 entschied die Europäische Kommission, dass nationale Beihilferegelungen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien, die dem von der Kommission zuvor bestimmten Gemeinschaftsrahmen und den zugleich festgelegten zweckdienlichen Maßnahmen zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zuwiderliefen. Danach sind bestimmte Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe, unter anderem in Müllereibetriebe, von der Förderung ausgeschlossen. Deutschland wurde in der am 2. Juli 1998 zugestellten Entscheidung aufgegeben, seine Beihilferegelungen binnen zwei Monaten entsprechend zu ändern oder aufzuheben. Die Vorgabe wurde durch die am 24. Dezember 1998 in Kraft getretene Neuregelung in § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG umgesetzt. Nicht begünstigt waren danach bestimmte Wirtschaftsgüter im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die nach dem 2. September 1998 angeschafft oder hergestellt worden waren. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens unterhält einen Mühlenbetrieb in den neuen Bundesländern. Auf der Grundlage der Neuregelung versagte ihr das Finanzamt die Gewährung einer Investitionszulage für Investitionen in Höhe von 3,9 Millionen DM mit der Begründung, diese seien erst nach dem 2. September 1998 durchgeführt worden. Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot geltend. Die betreffenden Investitionsentscheidungen seien bereits vor dem 3. September 1998 und damit auch vor Verkündung der Neuregelung getroffen worden.

Das Finanzgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob die Regelung in § 2 Satz 2 Nr. 4 InvZulG insoweit mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist, als sie auch Investitionen umfasse, bezüglich derer der Investor eine bindende Investitionsentscheidung schon vor dem 28. September 1998 - dem Tag der Veröffentlichung des Schreibens, mit dem die Bundesregierung die Änderung des Investitionszulagengesetzes angekündigt hatte - getroffen hat. Ein Investor genieße von dem Zeitpunkt seiner bindenden Dispositionsentscheidung an Vertrauensschutz gegenüber Gesetzen, die die steuerliche Förderung der Investition nachträglich einschränkten oder aufhöben; dieses schutzwürdige Vertrauen sei erst mit der Veröffentlichung des Schreibens der Bundesregierung entfallen. Die mit der Neuregelung verbundene Rückwirkung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt und auch nach der Entscheidung der Kommission nicht geboten. Danach bestehe eine Verpflichtung nur mit Wirkung für die Zukunft, nicht aber zur Versagung von Beihilfen für Investitionen, die in Gestalt bindender Investitionsentscheidungen bereits begonnen worden seien. Da der Rechtsverstoß im nationalen Recht begründet sei, komme eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht in Betracht.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist, weil das vorlegende Finanzgericht nicht ausreichend geklärt hat, ob die von ihm als verfassungswidrig beurteilte Gesetzesvorschrift auf einer den deutschen Gesetzgeber bindenden Vorgabe des europäischen Gemeinschaftsrechts beruht oder ihm ein Gestaltungsspielraums verblieben ist. Damit ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage nicht hinreichend dargelegt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Ein Gesetz, das Unionsrecht umsetzt, kann nur dann dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über seine Verfassungsmäßigkeit vorgelegt werden, wenn es der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt. Solange die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem Grundrechtsschutz des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich zu achten ist, übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Unionsrecht in Deutschland , das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden in Anspruch genommen wird, jedoch nicht mehr aus und überprüft dieses Recht mithin nicht am Maßstab der Grundrechte. Auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, wenn das Unionsrecht dem deutschen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum belässt, sondern zwingende Vorgaben macht. In diesem Fall ist die Vorlage eines Unionsrecht umsetzenden Gesetzes an das Bundesverfassungsgericht unzulässig, weil die Frage seiner Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht entscheidungserheblich ist.

Ein Gericht hat daher vor einer Vorlage des Gesetzes an das Bundesverfassungsgericht zu klären, ob dem deutschen Gesetzgeber bei der Umsetzung des Unionsrechts ein Spielraum verblieben ist. Hierfür muss es, wenn Unklarheit über die Bedeutung des Unionsrechts besteht, ein Vorabentscheidungsverfahren zum Europäischen Gerichtshof einleiten, unabhängig davon, ob es ein letztinstanzliches Gericht ist. Zwar besteht nach Unionsrecht eine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof ausschließlich für letztinstanzliche Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des nationalen Rechts angefochten werden können. Wenn jedoch unklar ist, ob und inwieweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum belässt, sind auch Instanzgerichte vor einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof verpflichtet. Denn hier geht es um die Bestimmung der Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts und damit um eine für die Zulässigkeit der Normenkontrolle zwingend zu klärende Vorfrage.

Des Weiteren hat das vorlegende Gericht sich in seiner Vorlagebegründung mit der Frage eines dem nationalen Gesetzgeber belassenen Umsetzungsspielraums auseinanderzusetzen und hinreichend deutlich die Gründe für die Entscheidungserheblichkeit seiner Vorlage darzulegen.

2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage des Finanzgerichts nicht. Es hat sich schon nicht mit der Möglichkeit einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht befasst. Zudem fehlt es an hinreichenden Ausführungen zum Umfang der Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung. Die Feststellung, die Kommission habe nur eine Regelung für die Zukunft getroffen, zwingt nicht zu dem Schluss, dass nach Ablauf der zweimonatigen Umsetzungsfrist eine Gewährung von Investitionszulagen zulässig bleiben sollte, wenn eine bindende Investitionsentscheidung bereits vor Fristablauf getroffen worden war. Nach ihrem Wortlaut gab die Entscheidung der Kommission vielmehr vor, dass nach Fristablauf keine Investitionszulage mehr gewährt werden durfte, und zwar unabhängig davon, ob ein Investor bereits eine bindende Investitionsentscheidung getroffen hatte oder nicht. In Anbetracht dessen hat das Finanzgericht die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage schon nicht ausreichend dargetan.

Zudem hätte es die hier maßgebliche Auslegungsfrage für das Vorliegen eines nationalen Umsetzungsspielraums dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorlegen müssen, weil diese sich nicht zweifelsfrei im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts beantworten lässt.


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Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.

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