Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel anlässlich der Preisverleihung zum 1. Internationalen Willy-Brandt-P

  • Pressemitteilung der Firma SPD, 25.10.2011
Pressemitteilung vom: 25.10.2011 von der Firma SPD aus Berlin

Kurzfassung: Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel anlässlich der Preisverleihung zum 1. Internationalen Willy-Brandt-Preis am Dienstag, dem 25. Oktober 2011, im Willy-Brandt-Haus. - Es gilt das gesprochene ...

[SPD - 25.10.2011] Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel anlässlich der Preisverleihung zum 1. Internationalen Willy-Brandt-Preis


Rede

des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sigmar Gabriel

anlässlich der Preisverleihung zum 1. Internationalen Willy-Brandt-Preis

am Dienstag, dem 25. Oktober 2011,

im Willy-Brandt-Haus.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Auch ich möchte Sie alle sehr herzlich im Willy-Brandt-Haus begrüßen. Das Haus platzt aus allen Nähten und so soll es auch sein, wenn außergewöhnliche Persönlichkeiten im Namen Willy Brandts ausgezeichnet werden.

Ich freue mich besonders, dass unsere beiden Preisträger, Herr Daniel Barenboim und Frau Laila Soliman, heute hier persönlich ihre Preise annehmen werden. Es ist uns eine große Ehre, Sie beide hier als Gäste in unserer Mitte zu wissen.

Ich möchte dem Jury-Vorsitzenden Egon Bahr und der Jury für die ausgezeichnete Wahl der erstmaligen Preisträger danken.

Und selbstverständlich gilt mein Dank auch denen, die durch eine großzügige Spende die Einrichtung des Internationalen Willy-Brandt-Preises möglich gemacht haben. Mein Dank gilt damit Doris Schröder-Köpf, Gerhard Schröder und Michael Frenzel.

Wir verleihen den Willy-Brandt-Preis in großem Respekt vor dem Namensgeber, unserem langjährigen Vorsitzenden, Ehrenvorsitzenden und ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Einem Respekt, der sich durch das Wissen auszeichnet, dass die Errungenschaften, die wir heute in Europa genießen dürfen – wie Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand – nur deshalb erreicht wurden, weil mutige und weitblickende Persönlichkeiten wie Willy Brandt und andere sich für eine bessere Welt eingesetzt haben.

Weil wir wissen, dass nichts von dem, was wir geschaffen haben, von Dauer sein wird, wenn nicht solche herausragenden Persönlichkeiten hartnäckig diesen Bestand verteidigen.

Es gibt Konflikte, die dauern so lange wie ein ganzes Menschenleben. Als ich aufgewachsen bin, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass der Kalte Krieg zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO je ein Ende finden könnte. Die deutsche Einheit? Wer hat ernsthaft in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts noch daran geglaubt?

Aber dann geschehen eben Dinge und Ereignisse, die bisweilen an Wunder grenzen: ein mutiger Protest in Polen und in anderen osteuropäischen Ländern. Eine politische Führung in der damaligen UDSSR, die "Glasnost" zulässt. Ein friedlicher Protest der DDR-Bürger gegen ihre betonstarre Führung, die gerade erst den 40. Jahrestag der DDR-Staatsgründung gefeiert hatte.
Am Ende haben diese mutigen Bürger die am stärksten gesicherte Grenze der Welt, die zwischen beiden Teilen Deutschlands, zum Einsturz gebracht. Es waren entschlossene und mutige Menschen, die damit das gesamte internationale System durcheinandergewirbelt haben.

Das sind Momente, in denen man innehält. Momente, in denen ich dankbar bin, dass Menschen in die Weltläufte aktiv eingreifen. Dem so genannten Rad der Geschichte eine andere, schnelle Wendung geben.

2011 hat es wieder solche Momente gegeben: als der tunesische Präsident Ben Ali aus Tunesien geflohen ist und als der ägyptische Präsident Mubarak gestürzt worden ist, weil friedliche Demonstranten nicht weichen wollten.
Diese Demonstranten – vor allem junge, darunter viele Frauen – haben unter Inkaufnahme eines hohen persönlichen Risikos ihre Rechte erkämpft. Vor diesen Menschen verneigen wir uns voller Respekt und Dankbarkeit, weil sie die Hoffnung verkörpern, dass ein Schicksal nicht unabwendbar ist. Sondern dass Politik mit und für Menschen immer offen und gestaltbar bleibt!

Lieber Herr Barenboim, verehrte Vertreter des israelischen und des palästinensischen Volkes, die Welt würde jubeln, wenn es endlich Frieden im Nahen Osten geben würde. Wenn es einen Friedensschluss zwischen der palästinensischen und der israelischen Führung geben würde. Denn zu lange leiden beide Völker unter diesem Konflikt. Zu viele Kriege hat es gegeben.

Zu viele Raketen. Zu viele Anschläge. Zu viele Mauern. Zu viele Siedlungen. Zu viel Unrecht auf beiden Seiten!

Was soll eine palästinensische, was eine israelische junge Erwachsene, die – vielleicht – 25 Jahre alt ist, über diesen Konflikt denken? Denkt sie, dass dieser Konflikt unlösbar ist, weil es ihn schon immer gab? Denkt sie, dass er normaler Bestandteil ihres Lebens sein muss? Denkt sie, dass sie auch so denken muss, wie ihre Eltern seit Jahrzehnten taten? Soll das für immer so bleiben?

Ich hoffe nicht, dass sie so denkt!

Wenn wir das Denken verändern wollen, müssen wir zeigen, dass es anders geht. Wir müssen beweisen, dass es Alternativen gibt.
Und wenn es die Politik allein nicht schafft, dann müssen kluge, mutige und leidenschaftliche Menschen ihr helfen, damit es anders wird.

Hier komme ich zu Daniel Barenboim, der 1999 zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern-Divan-Orchestra gegründet hat.

Daniel Barenboim zeigt, dass es anders gehen kann. Dass man anders denken kann. Und – ganz praktisch – anders handeln kann!

In seinem West-Eastern-Divan-Orchester spielen israelische, palästinensische und Musiker aus anderen Ländern der Nahost-Region zusammen. Sie alle sind unterschiedlich aufgewachsen.

Sie haben unterschiedliche Biographien. Sie haben schon als Kinder viel über Feindschaft und über Hass lernen müssen. Sie kannten vor allem die Erzählung ihres eigenen Volkes. Über das Unrecht, das ihnen und ihrem Volk zugefügt worden ist.

Dass man so denkt, wenn man als Kind so aufwächst, ist verständlich. Und niemand sollte leichtfertig meinen, dass man einfach so die Unrechtserfahrungen abstreifen kann, die so viele Menschen im Nahen Osten gemacht haben.

Aber seit 1999 sitzen Menschen mit genau diesen Erfahrungen als Musiker zusammen, vor demselben Notenblatt und sie spielen Mozart, Schönberg und Beethoven. Sie lesen vom selben Blatt, spielen die gleiche Melodie und fühlen denselben Rhythmus.
Sie erleben, denken und fühlen einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit gemeinsam. Ja, sie gestalten Wirklichkeit zusammen neu. Und sie erleben diese neue Wirklichkeit!

Daniel Barenboim hat 2010 zur Eröffnung der Salzburger Festspiele einen Satz gesagt, der mich tief berührt hat. Er sagte: "Dennoch empfinde ich Schmerz. Ich fühle mich persönlich zerrissen von jenem Bruch, der zwischen Israelis und Palästinensern besteht. … Nichts, was ich sage, kann diesen Bruch heilen, keine Sonate, Symphonie oder Oper kann die tiefe Kluft zwischen zwei Völkern, die nicht willens sind, die notwendigen Schritte zur gegenseitigen Annäherung zu machen, schließen."

Lieber Herr Barenboim, ich kann nur annähernd versuchen, nachzuempfinden, wie tief dieser Schmerz geht, weil der Nahe Osten Zeit meines politischen Lebens die Region ist, die ich am häufigsten besucht habe. Ich habe viele Freunde auf allen Seiten dort.

Auch deshalb weiß ich: Mit Ihrem Orchester, mit Ihrer Musik, mit Ihren Reden und Ihrem Wirken schließen Sie die Kluft zwischen den Völkern. Vielleicht nur für einen Moment. Vielleicht auch nur ein Stück weit. Aber dieser Moment und dieses Stück sind unendlich wichtig. Denn er weist über den unhaltbaren Zustand hinaus. Und dadurch spendet er den Menschen Hoffnung auf eine andere, bessere Zukunft.

Sie haben sich bei einer Rede einmal auf ein Zitat von Bundespräsident Richard von Weizsäcker bezogen, der heute hier unter uns ist. Der Bundespräsident sagte am 40. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges: "Es hilft unendlich viel zum Frieden, nicht auf den anderen zu warten, bis er kommt, sondern auf ihn zuzugehen."

Sie, lieber Herr Barenboim, haben nicht gewartet, bis der andere gekommen ist. Sie sind auf Menschen zugegangen. Sie sind mit Ihrem Orchester nach Ramallah gegangen. Sie spielten in der de-militarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Sie waren an Orten, wo Sprachlosigkeit herrscht und wo die Musik ein erster Versuch war, zu einer gemeinsamen Sprache zu kommen.

Dafür möchten wir Ihnen ausdrücklich danken!

Ich weiß, dass Sie Willy Brandt einst am Rande eines Konzerts getroffen haben. Es existiert ein seltenes Foto von dieser Begegnung, das Sie jetzt auf den Bildschirmen sehen müssten.

Ich glaube, dass ich als Nachfolger von Willy Brandt im Amt des SPD-Parteivorsitzenden sagen darf: Es wäre in seinem Sinne gewesen, dass Sie, lieber Herr Barenboim, heute der erste Preisträger des Internationalen Willy-Brandt-Preises sind.

Ich überreiche Ihnen im Namen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands den Willy-Brandt-Preis in der Hoffnung, dass wir mit dieser erstmaligen Verleihung des Preises ein kleines Stück dazu beitragen können, dass Sie Ihre außergewöhnliche Arbeit fortsetzen können. Und damit noch mehr Menschen auf andere zugehen und nicht darauf warten, dass der andere kommt.


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