Jordanien: Schutz von Hausangestellten ineffektiv

  • Pressemitteilung der Firma Human Rights Watch Deutschland, 27.09.2011
Pressemitteilung vom: 27.09.2011 von der Firma Human Rights Watch Deutschland aus Berlin

Kurzfassung: Regionaler Vorreiter bei Gesetzesreformen versagt bei Umsetzung (Amman, 27. September 2011) - Jordanien soll die in den vergangenen drei Jahren verabschiedeten Gesetze zum Schutz von Arbeitsmigranten, die als Hausangestellte arbeiten, auch ...

[Human Rights Watch Deutschland - 27.09.2011] Jordanien: Schutz von Hausangestellten ineffektiv


Regionaler Vorreiter bei Gesetzesreformen versagt bei Umsetzung

(Amman, 27. September 2011) - Jordanien soll die in den vergangenen drei Jahren verabschiedeten Gesetze zum Schutz von Arbeitsmigranten, die als Hausangestellte arbeiten, auch tatsächlich anwenden, so Human Rights Watch und das Tamkeen Center for Legal Aid in einem heute gemeinsam veröffentlichten Bericht. Die seit 2008 neu erlassenen Gesetze und Bestimmungen, die Hausangestellten einen Anspruch auf geregelte Arbeitszeit sowie einen arbeitsfreien Tag pro Woche geben und Menschenhandel unter Strafe stellen, werden in der Praxis kaum angewendet, so die beiden Organisationen.

Der 111-seitige Bericht "Domestic Plight: How Jordanian Laws, Officials, Employers, and Recruiters Fail Abused Migrant Domestic Workers" dokumentiert Menschenrechtsverletzungen gegen Hausangestellte und das Versagen der jordanischen Behörden, die verantwortlichen Arbeitgeber und Arbeitsvermittler strafrechtlich zu verfolgen. Der Bericht kritisiert auch, dass das jordanische Einwanderungs- und Arbeitsrecht den Missbrauch von Hausangestellten ermöglicht, wie etwa die Gefangenhaltung in Privathäusern und Geldstrafen für die Überschreitung der gesetzlich erlaubten Aufenthaltsdauer, selbst wenn dies nicht durch den Arbeitnehmer verschuldet wurde.

"Wenn die Gesetzesreformen in Jordanien nichts an den Lebensbedingungen der ausländischen Hausangestellten ändern, sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind", so Christoph Wilcke, Nahost-Experte von Human Rights Watch. "Wenn Jordanien weiter eine Vorreiterrolle beim Schutz von Hausangestellten einnehmen will, soll es den politischen Willen aufbringen, seine eigenen Gesetze auch durchzusetzen."

Viele der 70.000 Einwanderer aus Sri Lanka, Indonesien und den Philippinen, die in Jordanien als Hausangestellte arbeiten, werden – ebenso wie ihre Berufsgenossen in anderen Ländern des Nahen Ostens – häufig Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Dazu gehören Schläge, Beleidigungen, der Entzug von Ausweisdokumenten, das Einsperren in Privathäusern, die Einbehaltung von Löhnen und übermäßig lange Arbeitszeiten ohne freie Tage.

Im Jahr 2003 führte Jordanien als erstes arabisches Land einen einheitlichen Standardvertrag für Hausangestellte ein und stellte sie 2008 unter den Schutz des Arbeitsrechts. Im darauffolgenden Jahr erließ die Regierung Regularien, die Arbeitnehmerrechte wie eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden, ein Recht auf mindestens acht aufeinanderfolgende Stunden Freizeit pro Tag, einen arbeitsfreien Tag pro Woche und regelmäßige Lohnzahlungen festschreiben.

Dennoch dauern die Menschenrechtsverletzungen gegen Hausangestellte an, weil die bestehenden Rechtsansprüche und Schutzbestimmungen nicht durchgesetzt werden. Zudem enthalten die Gesetze Regelungen, die Menschenrechtsverletzungen ermöglichen und im Widerspruch zu einem bahnbrechenden internationalen Abkommens zum Schutz von Hausangestellten stehen, das im Juni 2011 verabschiedet wurde. Jordanien stimmte zwar für das ILO-Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte, hat es bislang jedoch noch nicht ratifiziert. Die Konvention verpflichtet Regierungen, Hausangestellten angemessene Arbeitsbedingungen sowie Schutz vor Gewalt zu garantieren und nationale Gesetze zu ihrem Schutz einzuhalten.

Die Entmündigung von Hausangestellten beginnt meist in ihren Herkunftsländern, wo skrupellose Arbeitsvermittler sie mit falschen Versprechungen wie leichter Arbeit bei hohen Löhnen irreführen. Diese Probleme setzen sich in Jordanien fort, wo örtliche Arbeitsvermittler den Migranten keine Kopien ihrer Arbeitsverträge aushändigen und ihre Ausweisdokumente beschlagnahmen, während Arbeitgeber sie gefangen halten und ihnen die Kommunikation mit der Außenwhttps://admin.hrw.org/de/node/101961/editelt verbieten. Jordanien verfügt nicht über Unterkünfte für geflohene Hausangestellte, so dass diese keine Anlaufstelle finden und sich selbst überlassen sind.

Das jordanische Recht erlaubt es Arbeitgebern immer noch, die Freizügigkeit eines Hausangestellten einzuschränken und ihn zu zwingen, das Haus nicht zu verlassen. Gleichzeitig können Arbeitgeber Papiere der Hausangestellten, einschließlich Pässe und Verträge, einbehalten. Hausangestellte sind zudem nicht berechtigt, ihren Arbeitgeber frei zu wechseln, selbst wenn ihre Arbeitsverträge bereits ausgelaufen sind. Das Land verhängt Geldstrafen gegen Personen, die sich ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Jordanien aufhalten. Letztere können nur durch den Arbeitgeber beantragt werden, was meist jedoch nicht geschieht. Hausangestellte, die von ihrem Arbeitgeber als flüchtig gemeldet wurden, werden von der Polizei selbst dann inhaftiert, wenn sie über eine gültige Aufenthaltserlaubnis verfügen.

Die zaghafte Umsetzung der geltenden Gesetze hat zur Folge, dass Hausangestellte häufig auf Rechte wie die vollständige Auszahlung ihres Lohns verzichten müssen, um im Gegenzug in ihr Herkunftsland zurückkehren zu können. Das Arbeitsministerium beschäftigt nur fünf Inspekteure, die den häuslichen Arbeitsmarkt kontrollieren. Diese haben bislang jedoch noch nie von ihrem Recht Gebrauch gemacht, zur Untersuchung von Beschwerden in Privathäuser einzudringen. Der Ausschuss für Arbeitsstreitigkeiten mit Hausangestellten verfolgt einen unklaren Kurs und benötigt Monate, um bei einer Beschwerde durch einen Hausangestellten nicht-bindende Empfehlungen zu formulieren. Keiner der für den Bericht untersuchten Einzelfälle wurde von den Inspekteuren zur Anzeige gebracht, obwohl die Befragten im Durchschnitt 16 Stunden pro Tag arbeiten mussten und keinen arbeitsfreien Tag hatten. Ebenso wenig verhängten die Beamten wegen dieser offenbar weit verbreiteten Praktiken Geldstrafen gegen Arbeitnehmer.

Einen Hausangestellten zu zwingen, über seinen Zweijahresvertrag hinaus zu arbeiten, oder ihn zu Hause einzusperren und gleichzeitig nicht zu bezahlen, kann als Zwangsarbeit im Sinne des internationalen Rechts gewertet werden. Dieses definiert Zwangsarbeit als unfreiwillig und unter Strafandrohung erpresste Arbeit. Dies ist nach Ansicht von Human Rights Watch und Tamkeen der Fall, wenn Angestellte den Arbeitgeber nicht frei wählen können oder nicht nach Hause zurück können, weil dies strafrechtlich verfolgt wird, Strafen durch die Einwanderungsbehörden auferlegt werden und der Pass konfisziert werden kann.

Zwangsarbeit verbunden mit wirtschaftlicher Ausbeutung etwa durch die Einbehaltung von Löhnen ist nach jordanischem Recht als Menschenhandel zu bestrafen. Die Ermittler der Abteilung zur Bekämpfung des Menschenhandels haben bislang jedoch nur die wenigsten Fälle als Menschenhandel deklariert, obwohl von Tamkeen beauftragte Rechtsanwälte zahlreiche und umfangreiche Fallakten eingereicht hatten.

Eine Hausangestellte aus Indonesien wurde mehr als drei Jahre lang ohne Bezahlung gefangen gehalten, weil der Arbeitgeber ihren Pass einbehalten und ihr die Rückkehr in ihr Heimatland verboten hatte. Sie entkam zwar, als ein anderer Angestellter einen Schlüssel im Schloss stecken ließ, wurde von der Staatsanwaltschaft jedoch nicht als Opfer von Menschenhandel anerkannt.

"Wir haben den für Menschenhandel zuständigen Ermittlern wiederholt Hausangestellte vorgestellt, die an den Folgen verschiedenster Misshandlungen litten. Zudem stellten wir den Betroffenen Anwälte und Übersetzer zur Seite. Dennoch erkannten die Beamten sie nicht als Opfer von Menschenhandel an und inhaftierten sie in manchen Fällen sogar, um sie für ihre Flucht zu bestrafen", so Linda al-Kalash, Direktorin von Tamkeen. "Statt den Frauen, die ohnehin bereits erheblich gelitten haben, zu helfen, bestraft die Regierung sie durch ihr Verhalten bzw. ihre Untätigkeit zusätzlich."

Wenn Arbeitgeber die Pässe ihrer Hausangestellten konfiszieren, sie in Häusern einsperren und Löhne nicht vollständig auszahlen, befürchten sie meist, ihre Bediensteten könnten auf dem informellen Arbeitsmarkt nach besserer Bezahlung suchen. Eine bessere Durchsetzung der geltenden Bestimmungen und eine Reform der Gesetze für Hausangestellte könnte die Nachfrage nach Schwarzarbeit senken und dazu beitragen, Missbrauch zu verhindern.

Der Bericht befasst sich auch mit der Rolle der Regierungen in den Herkunftsländern der Hausangestellten und kommt zu dem Ergebnis, dass die Verbote, die Indonesien und die Philippinen ihren in Jordanien lebenden Staatsbürgern auferlegt haben, nicht zu deren Schutz beigetragen haben. Die Regierungen der Herkunftsländer sollen sich stattdessen darauf konzentrieren, die Aktivitäten der im eigenen Land tätigen Arbeitsvermittlungsagenturen besser zu regulieren und zu kontrollieren.

"Jordanien soll den bahnbrechenden ILO-Vertrag zum Schutz von Hausangestellten möglichst bald ratifizieren und seine Politik in volle Übereinstimmung damit bringen", so Wilcke. "Jordanien gilt, was das Anstoßen von Reformen angeht, als Vorreiter in der Region. Jetzt soll das Land sich darum bemühen, diesen Ruf auch für die Umsetzung von Reformen zu erlangen."


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